Die Geister der Schlieffen-Kaserne

 

Welche Geister wachten über die Soldaten der Schlieffen-Kaserne, die unter ihren Häuptern lebten? Wohin führten sie die toten Feldherren vergangener Schlachten? Welche Legenden erzählen ihnen die Skulpturen über den Portalen?

„Der Geist der Deutschen Armee“ wird 1914 auf dem Titelbild von Ernst Heilemann heraufbeschworen. Ein Nebel umwabert die Köpfe der gespenstischen „Helden“. Die marschierende Schar ist verhext. Sie nimmt von der Welt um sie herum nichts mehr wahr, ist aber zu allem entschlossen. Unbeirrt tritt der schneidige junge Offizier mit gezücktem Portepee-Degen unter einen schattenhaften Feldherrenmantel. Die Pistole trägt er, um die Soldaten später am Ausreißen zu hindern. Von rechts nach links erscheinen als Geister: Friedrich „der Große“ (reitend), Gebhard Leberecht von Blücher (Säbel schwingend), Helmuth von Moltke sen. (im schleierhaft durchscheinenden Mantel), Prinz Friedrich Karl von Preußen, Hans Joachim von Zieten und Friedrich Wilhelm von Seydlitz. Einige von ihnen gehören zum Bildprogramm der Schlieffen-Kaserne.
Heute sind uns die „Helden“, deren Legenden früher jedes Kind kannte und deren Siege jährlich gefeiert wurden, gänzlich fremd. Wir verstehen auch die militaristische Denkweise nicht mehr, die gewöhnliche Menschen einst „Hurra“ und „Siegheil“ schreien ließ. Umso wichtiger ist, daß die Forschung in die Geschichte hinabsteigt und für die Erinnerungskultur die zerstreuten „Puzzleteile“ Stück für Stück wieder zusammenfügt.

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Dr. Werner H. Preuß

978-3-945264-09-6

lieferbar 

Erscheinungstermin: Juni 2021

Preis: 18,80 €

Paperback, ca. 128 Seiten, 17 x 24 cm

mit zahlreichen Abbildungen




                             Leseprobe


Baudekorationen: Traditionen
und Vorbilder

 

Für Baudekorationen an Kasernen gibt es um 1936 keine Regeln. Manche scheinen gar nicht mit Bauschmuck versehen worden zu sein. Wo sie es waren, war ein Bezug zum Militär wohl immer gegeben. Auch die obligaten Hoheitsadler durften nicht fehlen. Der Komplex der Hindenburg-, Cambrai- und Scharnhorstkaserne in Bremen zeigt Feldherrnköpfe und Reliefs zum Thema „Alte und moderne Artillerie“. Das Stabs-Gebäude der ehemaligen Gneisenau-Kaserne in Minden präsentiert künstlerisch ausgearbeitetes, an der nationalsozialistischen Ideologie orientiertes Schmuckwerk: „Nährstand“ und „Wehrstand“. Die Wirtschaftgebäude der Lüneburger Scharnhorst-Kaserne waren mit kantigen Soldatenköpfen unterm Stahlhelm sowie mit Bildnissen ohne Kopfbedeckung geschmückt, die noch auf Deutung warten.

Die Schlieffen-Kaserne war, verglichen mit anderen Kasernen, großzügig mit Bauschmuck dekoriert. Alle Bogenfelder über den Portalen der Wirtschaftsgebäude waren bildhaft gestaltet; alle Mannschaftsgebäude waren mit Agraffen über den Eingängen verziert. So nennt man besonders gestaltete Schluss- oder Scheitelsteine an Bögen sowie Schmuckspangen und Verschlüsse an Kleidungsstücken und Hüten. (Diese zweite Bedeutung wird später noch angesprochen werden.) Von den ursprünglich 24 Relief-Porträts sind noch 10 erhalten. Der große Teil von ihnen ist wohl 1993 beim Umbau der Gebäude zu Behördenzwecken säuberlich entfernt worden. Sie zeigten – mal mehr, mal weniger ähnlich – Häupter von „Helden“ der preußisch-deutschen Militärgeschichte, vornehmlich Reiter. Daneben gab es eine Reihe von unbestimmten Bildnissen, die einzelne Regimenter vorstellen sollten. Vier Agraffen sind verschwunden, ohne im Bild festgehalten zu werden. Porträts von „Märtyrern der Nazi-Bewegung“ fehlen. Man darf diesen Umstand 1936 noch als Werben um die Zustimmung der Reichswehr zum nationalsozialistischen Regime deuten. Mit dieser Dekoration hat man den adeligen Reiter-Offizieren gehuldigt und ihnen eine Möglichkeit zur Identifikation mit dem NS-Regime eröffnet. Daneben gab es ursprünglich 12 künstlerisch gestaltete Bogenfelder über den Portalen der Wirtschaftsgebäude, welche historische Uniformstücke und moderne Waffentechnik gegenüberstellten. Sichtbar sind davon nur noch zwei Bogenfelder. Neun weitere sind durch Fotografien dokumentiert, eines ist unbekannt.

Die Bogenfelder (Lünetten) sind detailgetreu, die Bildnisse mehr oder weniger kunstvoll ausgeführt. Sie sind nicht benannt und lassen sich deswegen nur unter Vorbehalt bestimmten Vorbildern zuschreiben. Mehr als eine gestaltende Hand ist erkennbar. Wahrscheinlich sind die Skulpturen von heimischen Steinmetzen angefertigt worden, wie es auch andernorts üblich war. Verglichen etwa mit den Soldatenköpfen, die Wilhelm Hejda 1911‒1912 unter dem Motto „Eroberer“ für das frühere k.u.k. Kriegsministerium in Wien schuf, dem heutigen Sitz des österreichischen „Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort“, fehlt es ihnen an künstlerischem Ausdruck und Lebendigkeit – ganz zu schweigen von den Masken sterbender Soldaten von Andreas Schlüter am Berliner Zeughaus.

Außer Angehörigen der berittenen Truppe sind offenbar auch drei Flieger dargestellt. Während sonst Massen- und Materialschlachten den 1. Weltkrieg dominierten, fochten die Flieger noch einen „ritterlichen Kampf“ Mann gegen Mann und empfanden sich deswegen als Elite: „Der bessere Flieger, der schneidigere und mutigere Soldat mußte siegen. Und hier zeigten die ersten Kampfflieger vorbildlich, wie Luftkämpfe ausgefochten werden müssen; sie zeigten in ihren kleinen Flugzeugen, die damals noch längst nicht die Bausicherheit heutiger [1918] Kriegsflugzeuge aufweisen, durch Sturzflüge und Spiralen, durch Flüge kopfüber und ‚Abrutschen lassen‘, daß ihnen die dreifache Dimension des Luftraumes für ihre Gefechte gerade recht war.“34 Die „Erfolgreichsten“ wurden mit höchsten Orden belohnt.

Zu Anfang des 1. Weltkriegs hatte man „nicht erwartet, daß das Flugzeug zum Kampf- und Angriffsmittel in der Luft werden würde. Es schien einst nur zur Aufklärung geeignet zu sein, indem man es dort einsetzte, wo die Kavallerie-Patrouillen nicht hinkamen, schien aber für selbständige Kampfhandlungen nicht in Betracht kommen zu können.“35 Da die Flieger-Truppe aus der Kavallerie hervorgegangen war, trug auch sie gelbe („goldene“) Kragenspiegel. Die bekanntesten „Lufthelden“ des 1. Weltkriegs hießen: Oswald Boelcke, Max Immelmann und Manfred von Richthofen. Nach ihnen benannten die Nationalsozialisten 1935 die drei ersten Geschwader der neugegründeten Luftwaffe: Jagdgeschwader 2 „Richthofen“; Sturzkampfgeschwader 2 „Immelmann“; Kampfgeschwader 27 „Boelcke“.