Lüneburg Tatsachen und Legenden

Lüneburg ist eine „Märchenstadt“ mit einer wunderschönen und inspirierenden Kulisse. Bürgerschaftlichem Engament ist es zu verdanken, dass Einheimische und Touristen, Studierende und Filmschaffende sich heute an diesem Stadtbild so erfreuen können.

Professor Werner H. Preuß, ein fundierter Kenner der Hansestadt, nimmt in diesem Band Geschichten und tatsächliche Begebenheiten unter die Lupe und entschleiert ihren wahren Kern. Er erläutert unter anderem, warum die „Hauptstadt der Lüneburger Heide“ an ihrem Rande liegt, spricht von den geologischen Problemen der „Stadt auf dem Salz“ und zeigt, was auf den Siegeln der „Hansestadt Lüneburg“ und ihrer Schwester-Städte zu entdecken ist. Der Autor erzählt die Legende vom Lüner „Klosteresel mit den silbernen Hufeisen“ und befasst sich mit dem Fassadenschmuck der „Alten Raths-Apotheke“. Ein weiteres Kapitel beleuchtet die Zeit des jungen „Johann Sebastian Bach“, der in Lüneburg die Werke großer Meister studierte. Den Abschluss des Buches bildet eine eingehende Betrachtung der „Baudekoration an der Schlieffen-Kaserne“, welche gefährdet und zum Teil schon abgerissen ist.

 

Dr. Werner H. Preuß
ISBN 978-3-945264-07-2
Erscheinungstermin: Mai 2019
momentan vergriffen, Zweitauflage geplant                                                              

Preis: 14,80 €
Paperback, ca. 80 Seiten



                                 Leseprobe


Die Alte Raths-Apotheke

Ein Baudenkmal von höchster Qualität und einzigartiger wissenschaftlicher Bedeutung ist die beinahe 500 Jahre alte Raths-Apotheke. Seit 1524 befindet sie sich in der Großen Bäckerstraße Nr. 9. Das Datum „1598“, das am Ende der Fassade zur Apothekenstraße und im Eingang zu lesen steht, bezieht sich auf das Jahr, in dem der Umbau mit dem farbenprächtigen Sandsteinportal vollendet wurde. Seit der letzten Restaurierung 2008 leuchtet es wieder in seiner ursprünglichen, poppig-bunten Herrlichkeit. Anders als heute, wo man gedeckte Töne vorzieht, liebte man um 1600 den Kontrast. So war die Fassade der Raths-Apotheke ursprünglich glänzend schwarz glasiert. Aus ihr wäre das curry-gelbe, kräftig rote, blaue und grüne Portal noch heftiger hervorgesprungen, als es selbst der mutige Eigentümer bei der Restaurierung 1998/99 akzeptieren mochte. Überhaupt waren Lüneburger Fassaden keineswegs immer backsteinrot gewesen, sondern dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend auch farbig gefasst oder in reinliches Weiß gekleidet. In der nach historischem Vorbild „leichenblass“ gestrichenen Rathausfassade von 1720 spiegelt sich beispielsweise eine zu ihrer Zeit vorherrschende protestantische Frömmigkeit, welche für die Reize dieser Welt nicht empfänglich sein wollte.

Das Portal der Raths-Apotheke mit dem großen Lüneburger Stadtwappen
Am Sandsteinportal der Alten Raths-Apotheke gibt es viel zu entdecken. Aus den Kartuschen am Fuß der Pfeiler schauen zum Beispiel kleine graue Tierköpfe, die man für Igel halten möchte. Tatsächlich handelt es sich um Häupter von Löwen, die eine Pranke ins Fenster legen und das Haus bewachen. Über dem Portal kehren sie als furchteinflößende Schildhalter des großen Lüneburger Wappens wieder. Es zeigt eine von drei Türmen gekrönte,  mit Zinnengesims besetzte Mauer. Zwischen zwei Schießscharten öffnet sich in der Mitte das Fallgitter eines Tores, in welchem der aufrecht stehende blaue Löwe der Welfen auf einem kleinen Schild zu sehen ist.

Beim großen Lüneburger Wappen der Raths-Apotheke wird die Darstellung von einem Helm bekrönt, über dem sich eine rotbraune Säule erhebt. Aus ihr sprießen oben Pfauenfedern, und rechts klettert ein blauer Löwe empor. Dieses Wappen spielt auf die Luna-Säule an, die Caesar, der Sage nach, für ein Mondheiligtum auf dem Kalkberg gestiftet hat. Bis zur Restaurierung war links von der Säule noch der goldene Halbmond zu sehen, wie er für das Große Stadtwappen typisch und – unter anderem – am Alten Kaufhaus zu sehen ist. Hier fehlte er in der ursprünglichen Malschicht und wurde deshalb nicht wiederhergestellt.

 

Die beiden großen menschlichen Gestalten links und rechts des Portals – sogenannte „Hermenpilaster“ – halten Arzneigefäße in Händen. Von ihren verdeckten Gürteln hängen Schnüre mit jeweils zwei Kugeln herab. Es handelt sich um sogenannte „Bisamäpfel“, die wie Tee-Eier oder kleine, runde Weihrauchampeln aussahen. Betuchte Bürger trugen sie, aus Silber gefertigt, an einer Kette um den Hals oder den Körper.  Andere führten sie in der Hand mit sich. Das „Bisam“ genannte, stark duftende Sekret der Moschushirsche wurde als Heilmittel gegen die Pest und viele andere ernste Beschwerden verschrieben. Es wirkte schweißtreibend und krampfstillend, regte die Lebensgeister an und beruhigte die Nerven. Als Bestandteil von Zahntinkturen linderte es auch Karies-Schmerzen. Das bittere Medikament wurde nicht nur als Duft eingesogen, sondern bis ins 19. Jahrhundert auch als Pulver und Kügelchen mit Zucker oral verabreicht, oder zu Rauch verglüht und inhaliert. Einen Bisamapfel hat auch die weibliche Allegorie „Olfactus“, der Geruchssinn in Händen [mit einem Hund als Gespielen, links über dem Portal], während „Gustus“, der Geschmackssinn [mit einem Affen auf dem Arm] eine Frucht präsentiert, die einer Apfelsine ähnlich sieht.